Pillen statt Arztbesuch

„Das eigene Kind fiebert, hat Schmerzen, hustet – was tun? Ein Arztbesuch wäre gut, doch das ist Eltern aus Kenias Slums oft nicht möglich. Stattdessen kaufen sie billige Antibiotika – mit gefährlichen Folgen.

Rose Midecha weiß nicht mehr weiter. Ihr kleines Baby Collins ist seit drei Monaten krank. Ohne Pause. Er hustet und niest. Dabei gibt ihm Midecha ständig Medikamente. „Ich war bei der Apotheke und habe Antibiotika gekauft“, sagt die 37-Jährige. Als sie leer waren, ging es ihm immer noch schlecht und so habe sie neue für ihn bekommen. Doch sie lindern nur kurz die Symptome und schon ist Collins wieder richtig krank. Nicht mehr lange, dann wird seine Mutter zum nächsten Antibiotikum greifen.

Mit ihren beiden Kindern lebt Midecha im Slum Mathare in Nairobi. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln sind schlecht – auf den Straßen liegt Müll, oft auch Fäkalien. Es gibt nur schlechten Zugang zu sauberem Wasser und keine funktionierenden Abflusssysteme. Hinzu kommt die hohe Bevölkerungsdichte. Bakterien verbreiten sich hier leicht und führen zu Krankheiten. Gegen diese werden oft Antibiotika eingesetzt.

Leben im Slum Mathare in Nairobi: Apotheken im klassischen Sinne gibt es dort nicht. Stattdessen wird die Medizin oft ohne Einschränkungen in Blechhütten verkauft. (….)

Eine Studie im Armenviertel Kibera in Nairobi fand heraus, dass zwischen 70 und 87 Prozent der befragten Haushalte innerhalb eines Jahres Antibiotika eingenommen hatten. Zum Vergleich: In Brandenburg wurden laut einer Studie in einem Jahr im Mittel in 6,5 Prozent der Haushalte Antibiotika verschrieben.

Midecha bekommt die Antibiotika bei den Apothekern um die Ecke. Diese sind in kleinen Wellblechhütten mit einer Auswahl an Medikamenten. Die Apotheker haben in den meisten Fällen keine pharmazeutische Ausbildung, oft noch nicht einmal eine Verkaufslizenz. Hier gibt es Antibiotika kostengünstig und einfach ohne Rezept. Eine andere Option hat Midecha nicht. „Ich würde zum Krankenhaus gehen, aber ich kann nicht. Wenn ich Arbeit bekomme, muss ich sie annehmen“, sagt die alleinerziehende Mutter.

„Wenn ich den ganzen Tag im Krankenhaus warte, wer verdient dann das Geld allein für das Porridge meiner Kinder?“, fragt Midecha. Hinzu kommt: Der Besuch im Krankenhaus selbst kostet auch Geld. Und das hat Midecha nicht. Sie arbeitet als Haushaltshilfe, verdient gerade einmal genug für die Miete ihrer Hütte, die Lebensmittel und die Kinderbetreuung. (….)

Zum hohen Konsum der Antibiotika in Mathare oder Kibera kommt oft schlechte Qualität oder eine falsche Anwendung der Medikamente. Das alles fördert Resistenzen. „Die Armenviertel sind ein Hotspot für Antibiotika-Resistenz“, sagt Sam Kariuki, Direktor für Forschung und Entwicklung am Kenya Medical Research Institute (KEMRI). Bakterien sind laut Forscher in der Umgebung – sie geben Resistenzen untereinander weiter. „Wenn dann viele Antibiotika gegeben werden, deren Qualität unterschiedlich ist, oder die sogar gefälscht sind, dann sind die Armenviertel wie ein Inkubator für resistente Bakterien.“

In Kenia spüren die Krankenhäuser das wachsende Problem. Im Kijabe Hospital beobachtet man seit über zehn Jahren, dass die Rate der resistenten Bakterien steigt. Sie haben extra neue Behandlungsstandards entwickelt und überwachen die Resistenzen viel genauer, damit sie noch effektive Medikamente im Schrank haben.“

 

Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/kenia-nairobi-antibiotikaresistenz-101.html
Von Caroline Hoffmann, ARD-Studio Nairobi